Mit Pranayama – der Yogischen Atmung, beleuchten wir alle Bereiche in unserem Körper, die Energie benötigen und Energie erzeugen können. Um die Komplexität und gleichzeitig Einfachheit unseres Körpers in seiner Funktion zu verstehen, haben alte Meister des Yoga diese in Chakren, Nadis und Vayus verbildlicht. Zum Einen gibt es die medizinisch betrachtete Seite der Anatomie unseres Körpers und zum Anderen die feinstofflich-energetische Seite. Um diese Seiten unseres Seins zu erfahren, können yogische Reinigungspraktiken (Satkryas), Energieerweckungspraktiken (Kundalini) sowie Atemtechniken (Pranayama) dabei helfen.
Yogische Atmung – Einleitung
„Der Atem ist die Brücke, die das Leben mit dem Bewusstsein verbindet, die Brücke, die deinen Körper mit deinen Gedanken verbindet. Wann immer dein Geist zerstreut ist, benutze deinen Atem, um die Verbindung wieder herzustellen.“
Thích Nhất Hạnh, buddhistischer Mönch, 1926-2021
So einfach und elementar dies klingt: unserem Atem schenken wir im Alltag oft zu wenig bis keine Aufmerksamkeit. Dabei kann unser Atem, wenn dieser bewusst und aktiv fließt, so viel in uns bewirken. Ist er doch das erste und sehnlichste von Eltern und Ärzten -direkt nach der Geburt eines Kindes- erwartete Anzeichen von Leben: Der Erste Atemzug. Und er ist das Letzte, das wir tun, wenn wir die Hülle unseres Körpers auf dieser Erde verlassen: Wir hauchen unser Leben aus. Unser Atem begleitet uns jeden Augenblick und versorgt uns mit Lebensenergie (Prana), ohne die wir nicht existieren können.
In den Jahren 2015-2017 habe ich als Expat in Shanghai, China gelebt. Dort habe ich das erste Mal festgestellt, wie besonders es ist, saubere Luft einatmen zu dürfen. Tiefe Atemzüge waren dort, in dieser Megametropole aufgrund der starken Luftverschmutzung, an vielen Tagen des Jahres nur mit Atemmaske oder Luftfilter in der Wohnung möglich. Seitdem erfreue ich mich täglich aufs Neue über jeden Atemzug frischer Luft.
Es fiel mir in meinen ersten Yogastunden schwer, laut auszuatmen; wollte ich doch nicht die Aufmerksamkeit anderer auf mich lenken. So bemerkte ich schnell, dass es im Yoga um mehr, als rein auf den Körper ausgelegte sportliche Betätigung geht. Durch regelmäßige Yogapraxis konnte ich schon früh eine Veränderung in der Wahrnehmung meiner Atmung feststellen. Das bewusste Atmen im Fluss meiner Bewegungen in Yogahaltungen (Asanas), änderte den Umgang mit meiner Atmung auch im Alltag. Beispielsweise konnte und kann ich mich in Stresssituationen auf Atemübungen und -bewusstmachungen berufen und meine Konzentration wieder nach innen richten. Was andere über meine laute Ausatmung denken, ist jetzt nicht mehr von Belang. Erst viel später und dann durch den Beginn meiner Yogalehrerin-Ausbildung, kam ich zur Meditation. Und somit auch zur Bewusstmachung meines Atmens.
Eine Routine yogischer Atemübungen in den Alltag und in Yogastunden zu integrieren hat viele gesundheitliche Vorteile, welche ich in dieser Abschlussarbeit erkunden möchte. In den einzelnen Kapiteln zeige ich auf, wie das Wunderwerk Atmung funktioniert und welche Wirkungsweisen es auf unseren Körper und unsere Gesundheit hat. Ich möchte beleuchten wie im Besonderen die Yogische Atmung zur Gesundheit unseres Körpers, Geistes und unserer Seele positiv beiträgt.
Anatomie & Physiologie der Atmung
Am Tag atmen wir im Schnitt 20.000 bis 30.000 ein und aus. Hierbei atmen Männer durchschnittlich 12- bis 14-mal die Minute ein und aus und Frauen 14- bis 15-mal (vgl. Georg Feuerstein und Harry Peyn, Yoga für Dummies, S. 79-82, 2011).
Anatomisch teilen wir unser Atemsystem in die oberen und unteren Atemwege und physiologisch in die äußere und innere Atmung ein (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 90, 2023).
Alle Bereiche, die beim Atmen von Luft durchströmt werden, bezeichnet man als Atemwege. Die Luft strömt durch die oberen Atemwege ein, beginnend bei der Nase, fließt über die Nasennebenhöhlen, zum Rachenraum und weiter zu den unteren Atemwegen, dem Kehlkopf, der Luftröhre, hin zu den Bronchien und in die Lunge. Dieser Vorgang wird als Lungenatmung und auch Äußere Atmung bezeichnet (vgl. https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/koerper-wissen/wie-funktionieren-die-atemwege, 25.10.2023; Inner Fow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 91, 2023).
Bei der Zellatmung oder auch der Inneren Atmung, entsteht ein Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen Atemluft und Blut, welcher von den Lungenbläschen initiiert wird. Hierbei wird der Sauerstoff aus der eigeatmeten Luft in das Blut und zu allen inneren Organen, Muskeln, Nerven, Knochen und Geweben verteilt (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 91, 2023).
Unsere Lunge allein verfügt nicht über die Fähigkeit ein- und auszuatmen. Die Bewegung, die die Lunge benötigt, um frischen Sauerstoff zu erhalten, erhält sie durch passives Folgen und Mitbewegen. Dafür benötigt sie die umgebenden Muskeln und Gewebe. Der wichtigste Muskel hierfür ist das Zwerchfell. Durch die verschiedenen Asanas und deren Bewegungsrichtungen im „…Bereich um die Brust und den oberen Rücken, bewegen, erweitern und begrenzen wir auf diese Weise unseren Atemraum der Lunge“ (vgl. https://blog.yoga-vidya.de/einatmung-und-ausatmung-im-yoga/, 05.11.2023).
Positive Wirkungen tiefen Atmens
Dass uns ein, zwei oder mehr tiefe Atemzüge in gewissen Lebenssituation besonders guttun, bemerken wir selbst schnell. Bewusstes Atmen und das Nutzen des gesamten Atemapparats hält zudem das Lungengewebe elastisch. Tiefe Atemzüge helfen Stress abzubauen, können bei Angstzuständen positiv wirken und Verspannungen mindern. Die erhöhte Sauerstoffzufuhr verbessert die Blutzirkulation und das mit Sauerstoff angereicherte Blut kann alle Muskeln und Organe unseres Körpers erreichen. Zudem können Giftstoffe besser abtransportiert werden (vgl. Georg Feuerstein und Harry Peyn, Yoga für Dummies, S. 79-82, 2011).
Über die Atmung kann innere Ruhe und Entspannung kreiert werden. Aus diesem Grund wird der Atem in klinischen Standardverfahren wie dem Autogenen Training (nach I.H. Schultz, 1932) und der Progressiven Muskelentspannung (nach E. Jacobsen, 1928) angewandt (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 161, 2023).
…nimm` an dieser Stelle einen tiefen, langen Atemzug, um Deinem Körper für dieses Wunder des Atmens zu danken…
Pranayama – die yogische Atmung
„Atem ist ein Mittel, die Achtsamkeit zu wecken und aufrechtzuerhalten…“
Thích Nhất Hạnh, buddhistischer Mönch, 1926-2021
Der Sanskrit Begriff Prana findet sich schon in Jahrtausende alten Schriften und bedeutet Lebensenergie und Atem. In dieser Zeit vor geschätzt 5000 Jahren, haben die alten Yoga-Meister die Bedeutsamkeit der Verbindung des bewussten Atmens mit Bewegungen und Haltungen (Asanas) im Yoga erkannt.
Ayama bedeutet die Ausweitung und Regulierung des Atems. Im Pranayama wird die Verlängerung, Ausdehnung, Ausweitung, die Länge und Breite in jedem unserer Atemzüge eingeübt. Hierzu gehört auch das Halten des Atems (Kumbhaka) und das kontrollierte, rhythmische Ein- und Ausatmen: die Atemkontrolle. In den Phasen der Ausatmung (Recaka) können Giftstoffe ausgeschieden werden. Während in den Phasen der Einatmung (Puraka) und des Atemhaltens, Energie aufgebaut und im ganzen Körper verteilt werden kann.
Unser Geist und Atem sind ständige Gefährten: Die Gedanken folgen dem Atem, und der Atem geht dorthin, wo der Geist aktiv ist.
Im Pranayama üben wir unseren Geist, unsere Gedanken und Gefühle durch tiefe, rhythmische Ein- und Ausatmung zu kontrollieren und somit zur Ruhe zu bringen (vgl. Yogacharya B.K.S. Iyengar, Iyengar Yoga für Anfänger, S.144-, 2018).
„YOGA CITTA VRITTI NIRODHA – Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geist.“
aus dem Sanskrit, Patanjali [1]
Atemtypen
Die Terminologie der Atemtypen kommt aus der Lehre der Terlusollogie [2]. Diese wird auch als Atemtypenlehre nach Wilk oder simpel als solar/ lunar bezeichnet und ist überwiegend in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 161-162, 2023; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Terlusollogie, 29.10.2023).
Hierbei werden zwei Arten von Atmung unterschieden: die solare (Sonnenatmung) und die lunare (Mondatmung). Der Solare Atemtyp nutzt die verlängerte Einatmung als energetisierendes Mittel, wobei der Lunare Atemtyp die lange Ausatmung zur Beruhigung und dem Loslassen von Negativem einsetzt. Zu welchem Atemtyp man sich zuordnet, hängt mit dem Wohlsein in den einzelnen Atemphasen zusammen und muss jede*r Yogi*ni durch Praxis selbst erfahren (vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 282, 2019.
Bei starker Tendenz einer Atemrichtung, beispielsweise der Brustatmung (Lunarer Atemtyp), ist es bereichernd auch die andere Atemrichtung -im Beispielfall die Bauchatmung (Solarer Atemtyp) – zu üben, um Balance zu schaffen.
In der terlusollogischen Praxis steht die Arbeit mit den Zusammenhängen zwischen Atmung, Körperhaltung und Bewegung im Mittelpunkt. Hierzu wurden zwölf aufeinander aufbauende Körperübungen für jeden der beiden Atemtypen entwickelt. Validierte wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Lehre fehlen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Terlusollogie, 29.10.2023).
Atemformen im Yoga
Im Yoga haben sich zwei Formen der Atemarbeit etabliert: die manipulierende und die beobachtende. Bei beobachtenden Atemtechniken wird mit Konzentrationspunkten (Drstis) die Aufmerksamkeit auf den Atem fokussiert, wie zum Beispiel zur Bewusstmachung dessen, wie bei einer Vipassana-Meditation[3]. Während in der manipulierenden Atemarbeit der Atem aktiv gesteuert wird (durch Kumbhaka), um Energie (Prana) aufzubauen und eine Wirkung auf den Geist hervorzurufen (vgl. Inner Flow Teacher Training, Handbuch, S. 161, 2023).
Nasenatmung
In der Yogapraxis wird bevorzugt die Nasenatmung von uns Lehrenden angesagt und genutzt. Das Atmen über die Nase hat viele Vorteile gegenüber der Einatmung über den Mundraum. Fließt unsere Atemluft zuerst durch die Nase ein, wird sie erwärmt und mit Hilfe der Nasenhärchen von Schmutz und Keimen befreit. Gleichzeitig werden die Schleimhäute befeuchtet, die wiederum Schadstoffe und Krankheitserreger aus der Luft filtern. Gelangt unsere Atemluft beim Einatmen über den Mundraum, wie bei Infekten, wird die Atemluft nicht ausreichend von Schmutzpartikeln gereinigt. Und noch ein positiver Effekt, den alle kennen: strömt die eingeatmete Luft bei der Nasenatmung an vielen verschiedenen Sinneszellen vorbei, die uns zum einen auf Gefahren (wie giftige Stoffe) hinweisen, zum anderen Erinnerungen und Gefühle hervorrufen können (vgl. https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/koerper-wissen/wie-funktionieren-die-atemwege, 27.10.2023).
Die Ausatmung aus dem Mund wird im Yoga hauptsächlich in Asanas, wie zum Beispiel der Kindhaltung (Balasana) oder der Ganzen Stehenden Vorbeuge (Uttanasana) genutzt. Um hierbei negative Energie, Anspannung und Stress loszulassen. Grundsätzlich hilft es, in fließenden, sogenannten Yoga Flow Sequenzen, die Ujjayi Atmung zu nutzen. Die aufgebaute Energie und Konzentration können so im Körper gehalten und zentriert werden.
Reinigungstechniken der Atemorgane
Im Folgenden möchte ich zwei Reinigungstechniken (Satkryas) nach der Hatha Yoga Pradipika[4] erläutern:
JALA NETI – die Nasenreinigung
Eine Salzlösung wird mit Hilfe eines Gefäßes (sog. Nasendusche) zuerst durch ein Nasenloch gegossen, danach durch das andere. Schnupfen kann beseitigt und Erkältungen vorgebeugt werden. Die Blutzirkulation der Augen und der Nasenschleimhäute wird verbessert. Die Selbstreinigungskräfte und der Stoffwechsel angeregt. Das Stirn Chakra (Ajna Chakra) wird aktiviert und kann den Fokus und die Intuition vertiefen. Jala Neti kann bei Bedarf ein- bis mehrmals täglich durchgeführt werden.
KAPALABHATI – die Lungenreinigung
Bei dieser Reinigungstechnik wird in schneller Abfolge stoßweise durch die Nase ausgeatmet. Der untere Bauchraum mit dem Zwerchfell wird hierbei nach innen gezogen, so dass die Atemluft nach außen gedrückt wird und neue Atemluft sanft und natürlich (nicht erzwungen!) wieder in die Lungenflügel einfließen kann. Eine Abfolge von 40 Atmungen ist der Grundtakt für Kapalabhati. Die reinigende und energieerweckende Übung kann bei sachgemäß angeleiteter und regelmäßiger Praxis die Lungenkapazität und den Sauerstoffgehalt im Blut erhöhen. Die Zwerchfellbewegung kann kontrolliert und der Magen, die Leber und Bauchspeicheldrüse angeregt werden. Eine Entschlackung von Blut und Lunge wird initiiert und Asthma verbessert. Das Ausüben von Kapalabhati aktiviert das Sonnengeflecht oder auch Solarplexus Chakra (Manipura Chakra), setzt Energie frei, kann das Selbstbewusstsein und die Disziplin erweitern. Kapalabhati wird am besten morgens und mit leerem Magen ausgeübt (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 154, 2023; vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 31, 2019).
Atemtechniken im Pranayama
Laut Svatmarama, dem Autor der Hatha Pradipika, gibt es im Yoga drei Arten von Pranayama: das Einatmen (Puraca Pranayama), das Ausatmen (Recaca Pranayama) und das Atemanhalten (Kumbhaka Pranayama). Wobei im Kumbhaka Pranayama nochmals zwei Atem-Haltephasen unterschieden werden; in Sahita Kumbhaka (die willentliche Bündelung der vier Atemphasen im Kumbhaka) und Kevala Kumbhaka (Atemstillstand der durch fortgeschrittene Praxis entsteht und sich von allein einstellt (vgl.https://wiki.yogavidya.de/Kevala_Kumbhaka#Es_gibt_drei_Arten_von_Pranayama_und_zwei_Arten_von_Kumbhaka, 05.11.2023).
Unter den klassischen und vielen anderen Atemtechniken, die im Yoga und bei Achtsamkeits- und Meditationsübungen genutzt werden, möchte ich im Folgenden auf vier dieser Techniken genauer eingehen:
UJJAYI ATMUNG – das Meeresrauschen
Ujjayi bedeutet die siegreiche Atmung. Wobei hier der Sieg über den unregelmäßigen Atem gemeint ist, welcher an die Bewegungen des unruhigen Geistes gebunden ist; ein hörbar gewordener Atem, eine Rückmeldung des Atems über die eigene, akute Verfassung. Beim Ausüben der Ujjayi Atmung ahmt der Atem das stete Rauschen des Meeres nach. Bei geschlossenen Lippen verengt man leicht die Kehle, als ob man flüstern oder hauchen wollte. Laut der Hatha Pradipika kann Ujjayi als einzige Pranayama jederzeit geübt werden; in den Alltag hinein (vgl. Anna Trökes, https://www.yogaeasy.de/videos/anna-troekes-zum-thema-ujjayi-atmung, 29.10.2023).
NADI SHODANA – die Wechselatmung
Nadi Sodana oder auch Anuloma Viloma genannt, ist die klassische, yogische Wechselatmung. Hierbei wird mit Hilfe des Vishnu Mudras[5] abwechselnd ein- und ausgeatmet und die Nasenlöcher verschlossen. Wenn beide Nasenlöcher verschlossen sind, wird der Atem gehalten. Für Beginner kann in einem Zählrhythmus von 1 Sekunden Ein, 4 Sekunde Halten, 2 Sekunden Aus, geübt werden. Für die Mittelstufe ist ein Zählrhythmus von 4-16-8 empfohlen (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 163-164, 2023).
KUMBHAKA – die Atemkontrolle
Wie bereits erwähnt, bedeutet Kumbhaka das Anhalten des Atems. Im Yoga gibt es generell drei Arten von Kumbhakas:
- Antah Kumbhaka – das Anhalten mit voller Lunge,
- Bahir Kumbhaka – das Anhalten mit leerer Lunge,
- Kevala Kumbhaka – das spontane Anhalten, auch meditativer Atem
(vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 161, 2023).
Die dreiteilige Yogaatmung
Oder auch die Bauch-Brust-Schlüsselbein-Atmung genannt. Sie kann im Liegen oder Sitzen geübt werden. Die eingeatmete Luft wird hierbei über den gewölbten Bauch weiter hoch zum Brustkorb bis hin zu den Schlüsselbeinen geleitet. Beim Ausatmen wird in genauer Gegenrichtung geatmet; Ausatmen, der Brustkorb senkt sich, danach der Bauch. Nach jeder Ein- und Ausatmung kann eine Kumbhaka-Phase -eine kurze Atemhaltephase- von 1 Sekunde gesetzt werden und zur Ortung des Atems können die Hände auf dem Bauch oder der Brust liegen (vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 283, 2019).
Kontraindikationen von Pranayama
Pranayama-Techniken sollten im besten Fall nüchtern oder mit mindestens 2–3-stündiger Pause der Nahrungsaufnahme eingeübt werden. Bei psychischer Instabilität, akuten Kopfschmerzen oder einer bestehenden Schwangerschaft sollten keine Pranayama-Übungen ausgeführt oder nur nach Absprache mit einem Arzt und in Begleitung eines*r erfahrenen Yogalehrers*in geübt werden (vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 283, 2019).
Generell rate ich dazu Pranayama-Techniken zu Beginn durch eine*n erfahrene*n Yogalehrer*in zu üben. Bei falsch ausgeführten Pranayama-Techniken, beispielsweise bei umgekehrter Atmung, kann sich die Atemfunktion verschlechtern, anstatt -wie gewollt- zu verbessern. In seltensten Fällen kann es zu Schmerzen der Lungen, der Kehle und Stimmbändern, im Augen- oder Gehörbereich kommen oder Husten und Asthma können auftreten (vgl. https://wiki.yoga-vidya.de/Pranayama#Durch_falsche_Ausf.C3.BChrung_k.C3.B6nnen_Beschwerden_entstehen, 30.10.2023).
Feinstoffliche Anatomie der Atmung
So wie wir Menschen aus Fleisch und Blut bestehen, werden wir Menschen in der Yogalehre auch als Energiewesen gesehen. Unsere Lebensenergie (Prana) fließt durch Energiebahnen (Nadis) durch den gesamten Körper, ähnlich wie die Meridiane in der traditionell chinesischen Medizin (TCM). Mit Hilfe der Energiewinde (Vayus) und deren Atemrichtungen, kann Energie im gesamten Körper verteilt und abgelassen werden.
NADIS – Die Energieströme
Laut yogischer Ansicht verlaufen im Körper 72.000 Nadis, die in drei Hauptenergiebahnen zusammengefasst werden.
- Ida Nadi – linke Körperseite, kühler und dunkler Energiestrom; wie der Mond, bezieht sich auf die Silbe THA von Hatha. Ida Nadi steigt links entlang der Wirbelsäule nach oben, durch das linke Nasenloch. Im Stirn Chakra (Ajna Chakra) trifft es auf Pingala Nadi.
- Pingala – rechte Körperseite, charakterisiert durch Hitze und Licht; wie die Sonne, die Silbe HA von Hatha bezieht sich auf Pingala Nadi, steigt rechts entlang der Wirbelsäule nach oben durch das rechte Nasenloch empor, trifft dort auf Ida Nadi im Ajna Chakra.
- Shushumna (auch Sushumna) – wichtigstes der Nadis, beginnend im Wurzel Chakra (Muladhara Chakra) im Zentrum der Wirbelsäule, fließt hinauf ins Kronen Chakra (Saharasra Chakra), wo von hier aus die volle spirituelle Energie erweckt werden kann (vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 27-29, 2019).
VAYUS – Die energiegeladene Luft
Vayu stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Luft oder Wind. Wenn Prana durch unseren Körper fließt, bewegt es sich in den verschiedenen Richtungen der Vayus. Es gibt einige verschiedene Vayus, von denen fünf bestimmte Aufgaben im Körper bei der Aufnahme von Prana zuteil werden.
- Prana Vayu – erzeugt bei der Einatmung ein Energiefeld. Mit der Einatmung hebt, senkt und dehnt sich der Brustkorb aus. Es wirkt auf die Organe des Herzens und der Lunge und deren Kreislaufsystem. Im Energiebereich des Prana Vayu befindet sich das Herzchakra (Anahata) und berührt den Bereich des Kehlkopfchakra (Vishudda). Das Prana Vayu ist verantwortlich für die Aufnahme von Prana.
- Apana Vayu – bildet ein Energiefeld im Bereich des Unterleibs und dessen Organe, wie dem Darm, Magen und den Geschlechtsorganen. Nach der Einatmung oder bei der Ausatmung senkt sich der Oberkörper passiv nach unten, dabei wird die Atemluft wieder nach oben und außen geleitet. Aufgebrauchte Energie wird wieder aus dem Körper gelassen. Energetisch wirkt es auf das Wurzel- (Muladhara) und das Sexualchakra (Svadisthana).
- Samana Vayu – es hat sein Energiefeld im Bauchraum, wo auch das Nabelchakra (Manipura) liegt. In diesem Bereich unseres Körpers kann Energie aufgebaut und gleichzeitig verbraucht oder auch verbrannt (Verdauungsfeuer – Agni) werden.
- Udana Vayu – ist die sogenannte aufsteigende Energie und wirkt im Hals- und Kopfbereich. Demnach versorgt es das Kehl-, Stirn und Kronenchakra (Vishudda, Ajna und Saharasra Chakra) mit Energie und hat Einfluss auf das Gehirn, Nerven- und Hormonsystem.
- Vyana Vayu – ist die ausweitende und aufnehmende Energie. Sie verteilt sich auf den gesamten Körper und bildet von innen heraus die Aura äußerlich ab. Durch sie werden Nerven, Venen und die Bewegungen unserer Muskeln reguliert. Die Energie, die durch unseren Körper fließt wird durch Vyana Vayu ausgeglichen.
Laut Dr. Ralph Skuban bilden Prana, Apana und Samana Vayu „…im Zusammenhang mit der Atempraxis die Grundidee des gesamten Yogawegs…“ (Dr. Ralph Skuban, Yoga Aktuell Spezial No 6, S. 88, 2016/2017): Das zur Ruhe kommen der unruhigen Gedanken.
Wahrgenommen werden kann dieses Zusammenspiel der drei Haupt-Vayus im Moment des Atemhaltens – des Kumbhaka (vgl. Dr. Ralph Skuban, Yoga Aktuell Spezial NO 6, S. 88, 2016/2017; vgl. Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, S. 29, 2019).
„Öffnet sich ein Yoga-Schüler auch der mentalen und spirituellen Seite, wird er wie ein sanfter Fluss, der das angrenzende Land bewässert und befruchtet.“
Yogacharya B.K.S. Iyengar, Iyengar Yoga für Anfänger, S.7, 2018
Fazit Yogische Atmung
Unsere Atmung ist das Werkzeug, um Prana in uns aufzunehmen. Ohne Atmung kein Leben, ohne Prana kein Leben.
So wie die Lotusblüte sich als Samen (Bija) aus dem Schlamm herauskämpft, um zu einer wunderschönen, strahlenden Blüte zu erwachsen, so bildlich ist auch für uns Yogis*inis der Weg hin zum ruhigen Geist oder zur Erleuchtung -was auch immer wir suchen- ein Weg, der mit dem Atem fließt.
Die einzelnen Kapitel dieser Arbeit haben gezeigt, wie wichtig es ist, unsere Atmung ernst, wahr und wertschätzen zu lernen, das sie uns am Leben hält.
Zudem lohnt es sich die Anatomie der Energiekörperlehre aus dem Yoga zu betrachten. Es ist keine Besonderheit des Yoga; wir können diese Energien spüren, erfahren und verstehen. Denn …
„…was könnte uns auch näher sein als das Leben, das wir sind?“
Dr. Ralph Skuban, Yoga Aktuell Spezial No 6, S. 89, 2016/2017
Fußnoten Yogische Atmung
[1] Patanjali: indischer Gelehrter, lebte schätzungsweise zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 4. Jh. n. Chr., (vgl. https://wiki.yoga-vidya.de/Patanjali, 08.11.2023)
[2] Terlusollogie: aus dem lateinischen: terra = Erde, luna = Mond und sol = Sonne, ist ein alternativmedizinisches Konzept, welches zwei Atemtypmodell festlegt. Diese Lehre wurde von den zwei dt. Ärztin Charlotte und Christian Hagena verbreitet. In einzelnen Bereichen bspw. der Alternativmedizin, Gesangspädagogik und Logopädie wird sie angewandt (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 161-162, 2023).
[3] Vipassana– Meditation: ist eine der beiden Grundformen buddhistischer Meditationsmethoden. Auch als Achtsamkeits- und Beobachtungsmeditation bezeichnet, gehört sie im klassischen Yoga zu den sog. Sakshi Bhava Methoden (Beobachter aller Handlungen zu sein) (vgl. Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, S. 176, 2023; https://wiki.yoga-vidya.de/Vipassana_Meditation, 04.11.2023).
[4] Hatha Yoga Pradipika: Die Hathapradipika oder häufig auch Hathayogapradipika genannt, ist nach dem Yogasutra des Patanjali die wohl bekannteste klassische Yogaschrift. Sie wurde im 14. Jh. Von Svatmarama geschrieben. Sie beschreibt die Techniken des Hatha Yoga, die Reinigungen des physischen und subtilen Körpers sowie deren Auswirkungen (Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Hathapradipika, 28.10.2023).
[5] Vishnu Mudra: „Das Vishnu Mudra ist unter Yogis vor allem deshalb bekannt, weil es Teil der Pranayama-Übung Anuloma Viloma, der ausgleichenden Wechselatmung, ist. Zeigefinger und Mittelfinger werden geschlossen zur Handfläche gebeugt, während sowohl der Daumen als auch der Ringerfinger und der kleine Finger abgespreizt werden.“ (https://www.yogaeasy.de/artikel/alles-ueber-mudra, 08.11.2023)
Quellenangaben Yogische Atmung
- Feuerstein, Georg und Payne, Larry, Yoga für Dummies, 2011
- Yogacharya B.K.S. Iyengar, Iyengar Yoga für Anfänger, 2018
- Inner Flow Yoga Teacher Training, Handbuch, 2023
- Wanda Badwal, Yoga – Die 108 wichtigsten Übungen und ihre ganzheitliche Wirkung, 2019
- Dr. Ralph Skuban, Yoga Aktuell Spezial NO 6, S. 88, 2016/2017
Titelbild: Pixabay NickyPe (Download März 2024)
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