Nāḍi Śodhana als Methode im Prāṇāyāma

Alle abgebildeten Abschluss- und Hausarbeiten im Spiritainment sind im Rahmen von Inner Flow Yoga Ausbildungen entstanden. Sie sind weiter geistiges Eigentum der Autor*innen und werden mit deren freundlicher Genehmigung hier veröffentlicht.
Inhalt

1. Beschreibung

Prāṇāyāma ist eine der wichtigsten Praktiken im Yoga (vgl. Skuban 2011, S.155) und setzt sich aus den zwei Sanskritwörtern Prāṇa (Lebensenergie) und āyāma (ausdehnen, lenken, kontrollieren) zusammen. Mit Hilfe von Methoden zur Verlängerung der Ein- und Ausatmung sowie der Atemanhaltephasen wird Prāṇa im Körper konzentriert und gelenkt. (vgl. Kistenmacher S.26) Eine Technik im Prāṇāyāma ist Nāḍi Śodhana, die Wechselatmung, bei der abwechselnd mit dem linken und rechten Nasenloch ein- bzw. ausgeatmet wird. Nāḍi bedeutet übersetzt Kanal – gemeint sind die Energiekanäle im Körper, durch die Prāṇa fließt. Śodhana bzw. Śuddhi bedeutet Reinigung. (vgl. Trökes 2022, S. 338)

Es gibt verschiedene Auffassungen, wie Nāḍi Śodhana genau praktiziert wird. Teilweise wird auch die Bezeichnung Anuloma Viloma verwendet. In manchen Texten wird Nāḍi Śodhana als die Wechselatmung ohne Atempausen (Kumbhaka) und Anuloma Viloma als Wechselatmung mit Atempausen bezeichnet. In anderen Texten ist es umgekehrt oder die Bezeichnungen werden analog verwendet. 

Ich habe mich der Einfachheit halber dafür entschieden, weiterhin Nāḍi Śodhana als Bezeichnung zu verwenden und folge der Ausführung von Ralph Skuban, der die verschiedenen Variationen in Nāḍi Śodhana I, II und III unterteilt. Variante II und III werden im Kapitel 6 beschrieben. 

Nāḍi Śodhana I: einfache Praxis

  1. Bequemen und aufrechten Sitz einnehmen. 
  2. Die rechte Hand formt Viṣṇumudrā – Zeige- und Mittelfinger liegen auf der Handfläche, die restlichen Finger sind gestreckt. Die linke Hand liegt entspannt auf dem linken Oberschenkel und formt cinmudrā oder jñānamudrā– d.h. die Fingerspitzen des Daumens und Zeigefingers berühren sich. 
  3. Zur Ruhe kommen und ein paar Mal entspannt durch beide Nasenlöcher ein- und ausatmen.
  4. Nach dem Ausatmen die rechte Hand an die Nase führen und mit dem Daumen der rechten Hand das rechte Nasenloch schließen und durch das linke Nasenloch langsam und ruhig einatmen.
  5. Linkes Nasenloch mit dem Ring- und kleinem Finger schließen und den Daumen vom rechten Nasenloch lösen – rechts langsam ausatmen.
  6. Über rechts langsam einatmen, der Daumen schließt das rechte Nasenloch wieder und das linke Nasenloch wird zum Ausatmen wieder geöffnet.

Diese Variante für fünf bis zehn Minuten durchführen und mit Ausatmung links beenden. Im Anschluss im Sitzen oder Liegen ausruhen. (vgl. Skuban 2022, S. 252f.)

2. Ausrichtung

Es ist wichtig, eine bequeme und aufrechte Sitzhaltung zu finden, die auch länger gehalten werden kann (vgl. Trökes 2012, S. 933): 

  • Wirbelsäule ist aufrecht, nicht überstreckt
  • Bauchdecke entspannt
  • Becken und Sitzbeinhöcker sinken nach unten
  • Schultern entspannt, fallen nicht nach vorne
  • Kopf ruht ohne Anspannung auf den Schultern, Kiefergelenk gelöst
  • Kinn parallel zum Boden
  • Ohren in einer senkrechten Linie über den Schultern
  • Hände entspannt auf den Knien/Oberschenkel oder in entsprechender Mudra-Stellung

(vgl. Govinda 2017, S. 133ff.)

Mögliche Hilfsmittel: ein Meditationskissen oder eine gefaltete Decke bei gekreuztem Sitz unterstützt die Aufrichtung der Wirbelsäule, Meditationsbänkchen beim Fersensitz, Yogablock z.B. um die Knie beim Schneidersitz zu unterstützen (vgl. Govinda 2017, S. 135f.). Ältere Menschen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen können die Übung z.B. auch auf einem Stuhl sitzend durchführen. Wichtig ist aber dennoch die aufrechte Haltung, damit der Atem / Prana gut fließen kann (vgl. Govinda 2017, S. 131).

3. Wirkung

Die beiden wichtigsten Nāḍis im Körper sind die beiden polaren Kräfte Iḍā und Piṅgala. Iḍā ist verbunden mit dem linken Nasenloch, Parasympathikus, Mondenergie, Ruhe und Tamas Guṇa. Piṅgala ist verbunden mit dem rechten Nasenloch, Sympathikus, Sonnenenergie, Aktivität und Rajas Guṇa. Wenn ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Energiekanälen vorliegt, entstehen Reizungen und Blockaden und die Energie kann nicht gut fließen. (vgl. Trökes 2022, S. 338f.) 

Nāḍi Śodhana bedeutet übersetzt „Reinigung der Nadis“ – sie hilft Blockaden aufzulösen, so dass die Energie frei fließen kann (vgl. Trökes 2022, S. 338). Zu starke Aktivität von Iḍā sorgt für Müdigkeit, Erschöpfung, niedrigen Blutdruck, und depressiver Verstimmungen, während eine zu starke Aktivität von Piṅgala (zu) hohen Blutdruck, Nervosität, Gereiztheit, Schlaflosigkeit sowie Herzprobleme bedingt. Das Praktizieren von Nāḍi Śodhana sorgt für ein Gleichgewicht zwischen den beiden Polen und harmonisiert somit Körper und Geist. (vgl. Govinda S.189f.).  Das sorgt für eine bessere Konzentration, Stressabbau und Befreiung von negativen Gedanken (vgl. Govinda 2017, S. 195f.). Nāḍi Śodhana sollte regelmäßig praktiziert werden, um die Nadis zu reinigen, damit das Prāṇa gut fließen kann (vgl. Trökes 2022, S. 338). 

Auf körperlicher Ebene verhilft Prāṇāyāma generell (und damit auch Nāḍi Śodhana) zu einer bewussteren Atmung, die langsamer und tiefer ist als die unbewusste Atmung, stärkt dadurch die Atemmuskulatur und sorgt für mehr Sauerstoff und Energie (Prana) im Körper (vgl. Skuban 2011, S. 154f.). 

4. Kontraindikation 

Wichtig ist es, bei der Praxis darauf achten, sich nicht zu sehr anzustrengen – wenn es zur Kurzatmigkeit kommt, sollte lieber eine einfachere Variante gewählt werden (vgl. Skuban 2022, S. 255). Außerdem sollte unter folgenden Umständen nicht oder nur mit großer Vorsicht und ggf. Rücksprache mit Arzt/Ärztin praktiziert werden: 

  • in den letzten Monaten der Schwangerschaft,
  • bei starker Erschöpfung,
  • bei Erkältung bzw. Virusinfektionen (v.a. bei Fieber!),
  • nach Operationen,
  • bei Bluthochdruck oder anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen,

(vgl. Govinda 2017, S. 128)

5. Sequenz

Ideal ist die Vorbereitung der Atemübungen durch Asanas, z.B. dem Sonnengruß, um den Körper zu erwärmen (vgl. Trökes 2012, S. 933ff.). Im Anschluss kann eine kurze Schlussentspannung im Liegen durchgeführt werden, um der Übung nachzuspüren (vgl. Govinda 2017, S.129f.). Es kann aber auch sinnvoll sein, Nāḍi Śodhana zu Beginn einer Yogaeinheit zu praktizieren, um einen leichteren Übergang aus dem Alltag zu schaffen. 

6. Variationen

Nāḍi Śodhana II: Rhythmisierung 

1. Einige Atemzüge Nāḍi Śodhana I praktizieren.

2. Einführung eines Atemrhythmus: Ausatmung länger als Einatmung, z.B. im Verhältnis 1:2 -> 4 Sekunden einatmen, 8 Sekunden ausatmen -> für 5-10 Minuten praktizieren, anschließend im Sitzen oder Liegen erholen.

(vgl. Skuban 2022, S. 254)

Nāḍi Śodhana III: Integration der Atempause

1. Einige Atemzüge Nāḍi Śodhana II praktizieren.

2. Einführung Atempause in der Atemfülle (nach dem Einatmen): beginnend mit 4 Sekunden einatmen, 4 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen. Die Atempausen können langsam und systematisch verlängert werden bis zu einem Verhältnis von 1:4:2.

-> für 5-10 Minuten praktizieren

(vgl. Skuban 2022, S. 255ff.)

7. Ansagen und Affirmationen

Verbindung mit Mond- und Sonnenenergie: 

  • Einatmung links: Aufnahme kühle Mondenergie
  • Ausatmung rechts: Abgeben kühler Mondenergie in die heiße Sonnenseite
  • Einatmung rechts: Aufnahme von heißer Sonnenenergie 
  • Ausatmung links: Abgeben heißer Sonnenenergie in die kühle Mondseite 

(vgl. Trökes 2022, S. 338f.)

8. Begründung der Auswahl

cale vāte calaṁ cittaṁ niścale niścalaṁ bhavet |

yogī sthāṇutvam āpnoti tato vāyuṁ nirodhayet ||2|| 

Aus der Hatha Yoga Pradipika, Kapitel 2, Vers 2

Deutsche Übersetzung: „Solange sich der Atem bewegt, so lange ist auch alles Wandelbare des Menschen (Chitta) unstet. Ruht das eine, kommt auch das andere zur Ruhe | und der Yogi findet innere Harmonie. Daher soll der Yogi den Atem anhalten (Yoga Vidya 2016).“

Nach dem zweiten Ausbildungsbildungswochenende bin ich durch verschiedene innere und äußere Faktoren in Stress geraten und hatte gefühlt kaum Zeit, mal „Luft zu holen“. Es fiel mir schwer morgens früher aufzustehen, um meine Yogaroutine auf- und auszubauen und hab mir eines morgens gedacht: auch wenn ich nicht genug Zeit habe für alles – ich mache jetzt zumindest fünf Minuten Nāḍi Śodhana. Allein diese fünf Minuten (Variante III) haben gereicht, das nervöse, unruhige Flattern in meinem Inneren zu beruhigen und meine Balance für den Tag wieder herzustellen. Da war mir klar, dass ich mein Thema für die Ausarbeitung und gleichzeitig meine Mini-Routine, falls es zeitlich mal wieder eng wird, gefunden habe.  

9. Literaturverzeichnis

Govinda, Kalashatra (2017): Grundlagen des Atemyoga. Lebensenergie wecken, Selbstheilungskräfte aktivieren, Gelassenheit entwickeln. 1.Auflage. München: Irisiana Verlag

Kistenmacher, Gitta (2018): Pranayama. Die Atemschule des Hatha-Yoga. Übungsbegleiter zum tieferen Verständnis der Pranayama Praxis. Verlag W.Huchzermeyer.

Skuban, Ralph (2022): Atmen heilt, entspannt, zentriert: der Weg zur individuellen Atempraxis. Originalausgabe. München: O.W. Barth.

Trökes, Anna  (2012): Das große Yogabuch. München: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH.

Trökes, Anna (2022): Yoga der Energie: der Hatha-Yoga als ganzheitlicher Übungsweg in Theorie und Praxis. Originalausgabe. München: O.W. Barth.

Yoga Vidya (2016): Hatha Yoga Pradipika. Abrufbar unter https://schriften.yoga-vidya.de/hatha-yoga-pradipika. Zuletzt abgerufen am 18.03.23

Hinweis zu den Seitenangaben: Die o.g. Bücher liegen mir als Ebook und nicht als gebundenes Buch vor, daher kann die Seitenzahl ggfs. abweichen. 

Photo by Ivan Samkov: https://www.pexels.com/photo/a-woman-doing-nostril-breathing-6648567/

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