Yoga meets Sportwissenschaft
In dieser Ausarbeitung liegt der Fokus auf einem wichtigen Gesundheitsaspekt – der Bewegung. Die alarmierenden Statistiken bezüglich des übermäßigen Sitzens und dessen negativer Auswirkungen dienen als Anlass, sich näher mit den Körperübungen (Asanas) im Yoga auseinanderzusetzen. Es wird betont, dass nicht alle Asanas und Yoga-Stile gleichermaßen vorteilhaft und geeignet sind. Vielmehr ist es entscheidend, diese Übungen mit Bedacht und unter Berücksichtigung der individuellen anatomischen Gegebenheiten auszuführen.
1. Einleitung Gesundheitsorientierung im Yoga
In einer alternden, vor allem sitzenden, Gesellschaft wie Deutschland ist das Thema Gesundheit mehr als relevant. Auf der einen Seite ist Gesundheit eine individuelle Aufgabe mit den Aspekten Ernährung, Bewegung, Bildung und Arbeit. Dabei ist Gesundheit auf der anderen Seite natürlich auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Immense Summen fließen in unser Gesundheitssystem, auch indirekt im Hinblick auf Opportunitätskosten, da Kranke dann im Beruf ausfallen. Fernab von finanziellen Kosten eines Landes und dem benötigten Personal zur Pflege, geht es hier um Menschen als Individuen, die Beschwerden haben, ggf. ihren Alltag nicht mehr umfänglich bewältigen können und defacto an Lebensqualität verlieren. Besonders auffallend wird das „Gesundheitsproblem“ in Deutschland, da wir einen extremen demografischen Wandel haben (vgl. Schulz, 2022). Egal in welcher Form das Problem des schlechteren Gesundheitszustandes, leider trotz besserer medizinischer Versorgung, angegangen wird, jede Hilfe ist sicherlich willkommen. Wenn z. B. Vereine unterstützt werden, im Job mehr auf ein rückengerechtes Umfeld geachtet wird oder Yogakurse von Krankenkassen bezuschusst werden, hilft das den Menschen, die aktiv etwas für ihre Gesundheit machen wollen und darüber hinaus wird das Bewusstsein für den eigenen Körper ausgebildet und vermittelt. Hilfe zur Selbsthilfe ist hier das Stichwort, Krankheit präventiveren und nicht nur Flickschusterei betreiben.
In der eben beschriebenen Altersgruppe (ab 45 Jahren) hört es leider nicht auf, denn immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene haben eine Vielzahl von Beschwerden, die dazu führen, dass muskuläre Dysbalancen wie z. B. ein starkes Hohlkreuz und die Ausbildungen einer Bandscheibenvorwölbung oder eines -vorfalls durch einseitige und sitzende Tätigkeiten aufgebaut werden und sich psychische Probleme wie Depressionen verstärken (vgl. Jung, 2020, S. 16 ff.). Eine gute Gesundheit und die Prävention von psychischen und physischen Krankheiten sind logischerweise altersübergreifende Interessen. Eine vergleichsweise kleine Gruppe, die viel Sport und auch Leistungssport betreibt, sollte ebenfalls berücksichtigt werden, denn wann immer Sport in Extremen ausgeführt wird, kann es zu körperlichen Beeinträchtigungen kommen, wie auch ich an meinen Rücken in meiner aktiven Leistungssportkarriere erfahren habe. Hätte ich damals gewusst, wie ich meinen Körper sinnvoll „ausgleichen“ kann, indem ich mehr auf Ruhephasen oder Ausgleichssport geachtet hätte, hätte ich mir sehr viel früher Gutes getan. Ich finde wichtig, dass wir Gesundheit als ganzheitliches Konzept begreifen und nicht nur den Körper in dem Blick nehmen, sondern auch unseren Geist und unser Wohlbefinden insgesamt einbeziehen. Gerade deswegen ist Yoga mit der sinngemäßen Übersetzung von Einheit und Harmonie besonders spannend und kann, wie noch näher ausgeführt werden wird, sehr viel zu unserer Gesundheit beitragen.
Gerade das viele Sitzen und mangelnde Bewegung im Alltag ist hochgradig gesundheitsgefährdend (vgl. ebd.). In der Studie von der Universität Heidelberg kam heraus, dass Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 20 Jahren im Durchschnitt über zehn Stunden an Werktagen sitzen, was 71 % der Wachzeit umfasst (vgl. Huber & Köppel, S. 101). Besonders erschreckend ist dieses Ergebnis, da gerade Kinder einen natürlichen Bewegungsdrang haben und sich von Natur aus eigentlich gerne und viel bewegen wollen. Bei Erwachsenen ist dieser Trend ebenfalls zu erkennen und in der Studie des Robert-Koch-Instituts mit Daten der GEDA 2019/2020-EHIS kam heraus, dass im Durchschnitt nur 33,1 % der Frauen und 27,5 % der Männer über 18 Jahre weniger als vier Stunden am Tag sitzen. Über acht Stunden Sitzzeiten haben sogar 16,7 % der Frauen und 22,3 % der Männer (vgl. Manz et al., 2022, S. 34). Selbst die, die mindestens vier Stunden am Tag sitzen, üben keine ausgleichende körperliche Aktivität in der Freizeit aus (vgl. ebd., S. 32.). Allgemein gesagt braucht es im Alltag einfach mehr moderate Bewegung und Aktivität, um z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigste Todesursache entgegenzuwirken. Bewegung gibt es in verschiedenen Yoga-Stilen, die auch die Körperarbeit aktiv im Fokus haben. Jetzt könnte diese Ausarbeitung mit der folgenden Aussage beendet werden, nämlich, dass Bewegung immer schonmal gut und besser ist als keine Bewegung. Aber damit würden wir es uns zu leicht machen, denn wir wollen im besten Fall nicht nur „gut“, sondern wirklich Gewinnbringendes und Effektives für unsere Gesundheit tun.
Im Folgenden geht es also um die Gesundheitsförderung durch Körperübungen (Asanas) im Yoga, gerade im Hinblick auf unsere moderne Lebensweise, zu der auch das viele Sitzen gehört. Dazu möchte mir zunächst anschauen was Asana bedeutet, inwiefern Yoga die motorischen Hauptbeanspruchungsformen im Sinne eines Trainings bedient, welche Asanas und Stile es im Yoga gibt und diese anhand anatomischer Strukturen, aus Sicht der Wirbelsäule und einiger Ausrichtungsprinzipien, näher analysieren. Wir brauchen Konzepte, die gesundheitsförderlich sind und den Menschen jeder Altersgruppe helfen. Im Folgenden diskutiere ich die These, dass viele Yoga-Asanas nicht per se gesund und gut für uns sind, auch wenn diese häufig in der Praxis genutzt werden, sondern ggf. erst unter Beachtung verschiedener Prinzipien sinnvoll werden oder eben besser gar nicht ausgeführt werden sollten.
2. Hauptteil
Gesundheit ist ein komplexes Thema und von vielen Faktoren abhängig. Gerade durch die Pandemiesituation konnten wir erneut feststellen wie viel Gesundheit beeinflusst, z. B. Isolation, da soziale Einbindung erheblich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden beiträgt. Wie gut es Menschen geht, hängt auch von den Bewältigungsstrategien, dem Stressmanagement und von dem allgemeinen Lebensstil ab. Von innen betrachtet spielen unsere Gedanken und unser Umgang mit unseren Emotionen eine große Rolle, denn wenn mein Kopf nur Negatives zu mir sagt, ich das nicht für mich reflektiere und dem einfach Glauben schenke, habe ich langfristig ein sehr schlechtes Selbstbild von mir. Das kann dann dazu führen, dass meine Gedanken sich auch auf meine Handlungen auswirken, ich mich vielleicht klein halte, weil mein Kopf mir das so rät, schlechte Gewohnheiten entstehen usw. Wenn ich den ganzen Tag viel sitze und mich wenig bewege, kann meine Muskulatur verkürzen und Rückenschmerzen werden begünstigt und über längere Zeit zur schlechten Gewohnheit. Von außen betrachtet beeinträchtige ich meinen Körper, wenn ich mich unausgewogen ernähre oder mich zu wenig bewege. Ich beeinträchtige meinen Körper auch dann, wenn ich schlechte Bewegungen integriere, meinen Körper nicht gut genug verstehe und nicht auf ihn höre. Das meint hier insbesondere ein Verständnis von gesundheitsgerechten Bewegungen, dem körpereigenen Feedback wie Schmerz, Unwohlsein oder Ermüdung und der Übersetzung von Trainer*inneninstruktionen auf die persönlichen Gegebenheiten. Kein Mensch sollte die Eigenverantwortung einfach so abgeben und alles ungeprüft annehmen, sondern Wissen induktiv auf sich anwenden. Die eigene Gesundheit bleibt auch primär in den eigenen Händen, auch wenn die Zauberpille natürlich leichter wäre als jeden Tag frisch zu kochen und nach dem Arbeitstag noch ein Workout zu absolvieren. Leider ist es auch leichter einfach einen Yoga-Kurs unter Anleitung zu besuchen, jede Übung mitzumachen und dann mit dem Gefühl nach Hause zu gehen, man hätte sehr viel Gutes für seine Gesundheit getan. Ich sage nicht, dass das etwas Schlechtes sein muss. Es gibt sehr viele gute Yoga-Kurse und Yogalehrer*innen, die vielen Menschen sehr helfen können. Ich möchte vor allem zu bedenken geben, dass es sich hierbei auch um eine leichtere Variante handelt, bei der die Eigenverantwortet abgegeben wird. War diese Übung gut für mich? Wie fühlt sich mein Körper bei der Asana an? Sollte ich dieses Programm überhaupt machen? Wieso wird diese und jene Abfolge überhaupt gemacht? Das sind Fragen, die nicht immer gestellt werden. Leider auch nicht immer von Yogalehrer*innen für ihre Kursteilnehmer*innen. Darüber hinaus gibt es leider auch Yoga-Kurse bzw. Asanas, die negativ für den Körper sein können, wie ich im Verlauf noch zeigen werde.
2.1 Training im Yoga näher betrachtet
Asanas sind im Yoga die Körperübungen, die gerade im Westen einen besonderen Stellenwert in einer Yoga-Class einnehmen. Übersetzt meint Asana, dass ein Sitz eingenommen wird. Im Yogasutra werden Asanas mit sthira sukham asanam beschrieben. Dabei bedeutet sthirka so viel wie stabil oder fest und sukham entspannt, weich oder leicht. Diese Ausrichtung ist nicht nur für die Meditation im Sitzen relevant, sondern meint alle Körperübungen. Jede Asana braucht eine gewisse Grundspannung, aber der Körper sollte nie verkrampfen. Eine Asana darf auch mit Anstrengung verbunden sein, jedoch sollte sie in ihrer Anstrengung nie den Bezug zum Körper verlieren und auch eine größtmögliche Leichtigkeit bewahren. Dabei ist die Bewusstheit zum Atem in den Asanas sehr hilfreich. Eine Yogaeinheit wie z. B. ein Hatha-Kurs wird schon allein dadurch zum Gewinn für Körper und Geist, weil es in der Praxis um ein Bewusstwerden und das bei sich selbst sein geht. Sich und den Körper zu spüren ist enorm wertvoll für die eigene Wahrnehmung und die Propriozeption des Körpers.
Aus gesundheitlicher Perspektive ist Bewegung für uns Menschen sehr wichtig. Asanas vom Yoga bewegen sich hauptsächlich in den motorischen Hauptbeanspruchungs-formen Kraft, Koordination und Beweglichkeit. Je nach Stundenthema, Kursart oder Fokus der Übungen, gibt es einen anderen Schwerpunkt der motorischen Hauptbeanspruchungsformen, wenn man eine Yogastunde eher spotwissenschaftlich betrachtet. Im Bereich Kraft gibt es z. B. im Hatha-Yoga viele statische Übungen, die dann für ein paar Atemzüge gehalten werden. In dynamischeren Flows gibt es häufig einen Wechsel von Kräftigung und Beweglichkeit oder dynamische Übungen zur Kräftigung der Muskulatur. Ganz klassisch ist im Sonnengruß der Übergang durch eine Liegestützbewegung in die Kobra und wieder raus aus in den herabschauenden Hund der kräftigende Teil, während beispielsweise der tiefe Ausfallschritt und die Vorbeuge der primär dehnende Teil der Abfolge sind (siehe Abb. 1). Da im Yoga nur mit dem eigenen Körpergewicht gearbeitet wird, also ohne Zusatzgewichte, bewegt sich das Trainingsprogramm eher im Kraftausdauerbereich mit über 30 % der Maximalkraft, wobei hier nicht von klassischem Krafttraining (z. B. 20 Wiederholungen à drei Sätze) gesprochen werden kann, was im Yoga auch nicht der Anspruch ist. Eine Kräftigung der Muskulatur geschieht im Yoga folglich eher in sanfter Weise, fast schon nebenbei, auch wenn die Teilnehmer*innen das dann und wann anders sehen. Viele (ab)stützende Bewegungen wie die Planke oder der herabschauende Hund trainieren eine Vielzahl von Muskeln wie man an den Armen und dem Rücken, sowie der Körperspannung im Allgemeinen bei Yogis und Yoginis häufig erkennen kann. Diese Bewegungen müssen nicht explizit als Kräftigungsübungen betitelt werden, da es sich häufig auch um Übergänge von unten nach oben und andersherum handelt. Für den Unterkörper gibt es in häufig vorzufindenden Abfolgen oder Yoga-Stilen zum einen den Stuhl und zum anderen Kriegerasanas, in denen primär die Oberschenkelvorderseite und das Gesäß gekräftigt und auch eher statisch gearbeitet wird. Eine weitere Muskelgruppe, die besonders gut ohne Zusatzgewicht gekräftigt werden kann, sind Übungen für die gerade und schräge Bauchmuskulatur, die z. B. das Boot, die Planke oder der Unterarmstütz und Variationen darstellen. Die allgemeine Fokussierung auf den Atem und die Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur (Mula Bandha) schafft insgesamt ein Bewusstsein für die körperliche Mitte, die es auch bei anderen Asanas zu aktivieren gilt, wenn man Asanas in der natürlichen Wirbelsäulenhaltung ausführen möchte. Zum Krafttraining im Yoga kann gesagt werden, dass im Yoga durchaus Kraft aufgebaut werden kann, sie aber ein Kräftigungsprogramm im höheren Intensitätsbereich mit entsprechender Wiederholungsdauer nicht ersetzt, wie im obigen Teil erläutert wurde.
Betrachtet man den Ausbau koordinativer Fähigkeiten, so lässt sich sagen, dass primär eine statische und dynamische Gleichgewichtsfähigkeit trainiert wird, wenn es darum geht im Baum auf einem Bein zu stehen oder im Krieger II den Oberkörper zu verändern und die sichere Standhaltung beizubehalten. Die Gleichgewichtsfähigkeit ist auch gefordert, wenn man in der Krähe, einbeinig im Hund oder im Kopfstand halten möchte. Andere koordinative Fähigkeiten wie die Umstellungs-, Kopplungs- oder Rhythmisierungsfähigkeit werden im Yoga wenig bis gar nicht geschult.
Das Beweglichkeitstraining ist im Yoga sehr direkt zu finden, sowohl in statischer wie auch in dynamischer Ausführung und aktiv wie passiv. Beweglichkeit sollte in Gelenkigkeit und Dehnfähigkeit unterschieden werden. Wobei sich die Gelenkigkeit auf anatomische Strukturen wie die Gelenke bezieht, welche nicht verändert werden können bzw. aus gesundheitsorientierter Sicht nicht verändert werden sollten, während die Dehnfähigkeit den Faktor des kontinuierlichen Trainings der zu dehnenden Muskulatur berücksichtigt und zur Verbesserung der Beweglichkeit führt (vgl. Albrecht & Meyer, 2015, S. 12 f.). Im Yoga nimmt die Dehnung einen besonderen Stellenwert ein, wenn man zum Beispiel im Buch „2100 Asanas“ von Daniel Lacerda blättert. Hier ist besonders auffallend bei den Asanas, dass es sich häufig um sehr extreme Rückbeugepositionen, bei denen der Kopf nah am Gesäß oder in geschlossenen Formen (z. B. Fuß am Kopf) gehalten wird, handelt, die sonst nur im turnerischen, tänzerischen Bereich zu finden sind. Inwiefern dieses Buch repräsentativ für die Yogapraxis der durchschnittlichen Kursteilnehmer*innen ist, soll an der Stelle einmal eingeworfen werden. Meiner Meinung nach handelt es ist schon eher um Leistungssport, da ich als Gymnastin der Rhythmischen Sportgymnastik mit sehr ähnlichen Dehnpositionen konfrontiert war. Im weiteren Verlauf sollen daher eher die „typischen“ Asanas berücksichtigt werden. Nun soll es um einen näheren Blick auf den Körper und um die Ausrichtung im Allgemeinen gehen.
2.2 Ausführungen und Ausrichtung
Besonders gut sind Bewegungen immer dann, wenn sie auf Basis unserer anatomischen Gegebenheiten erfolgen, wir also verstehen, was unsere Gelenke und Muskeln machen, wie unsere Gewohnheiten zu Veränderungen des „optimalen Zustands“ beitragen und wie die Yoga-Praxis dann sinnvoll dagegenwirken kann. In unserer aktuellen Lebens- und Arbeitswelt wird viel gesessen, was bedeutet, dass die Hüftbeugemuskulatur viel beansprucht wird und häufig dann noch der Oberkörper in einer bequemen „Sofahaltung“ verharrt, also mit einem runden Rücken und nach innen gezogenen Schultern. Aus dieser Tatsache entstehen schon direkt sportliche Handlungsempfehlungen. Der Hüftbeuger, die Brust und der vordere Anteil des Schultermuskels sollten gedehnt werden. Der Gesäßmuskel und der obere Rücken, sowie der Anteil des hinteren Schultermuskels sollten gekräftigt werden. Darüber hinaus sollte ein Bewusstsein für den Körper aufgebaut werden. Viele Teilnehmer*innen empfinden ihre Haltung als richtig, obwohl sie in eine noch bessere Haltung kommen könnten und entsprechend Anleitung benötigen. Die Handlungsempfehlungen setzen Wissen voraus, welche Gelenkaktionen Muskeln zu welchen Bewegungen befähigen. Wenn also klar ist, dass sitzen in der Form einseitig ist, sollten öffnende und aufrichtende Bewegungen auf jeden Fall implementiert werden. Der Körper und vor allem Gelenke wollen bewegt werden, da Gelenke, oder besser die Knorpelzellen am Gelenk, keinen aeroben Stoffwechsel und keine Blutgefäße haben. Gelenke mit Gelenkspalt sind also davon abhängig, dass durch Bewegung und Erholung Nähstoffe durch die Gelenkflüssigkeit zur Knorpelzelle transportiert werden und Abbauprodukte entfernt werden (vgl. Gehrke, 2012, S. 26). Daher ist eine weitere, allgemeine Handlungsempfehlung die Mobilisation von Gelenken.
Bewegungen, die die Wirbelsäule aufgrund ihrer Gelenkaktionen machen kann und (mehr) sollte, sind die Flexion, Extension, Lateralflexion und Rotation, wenn es z. B. um mobilisierende, kräftigende und dehnende Übungen geht. Je nach Abschnitt allerdings zu unterschiedlichen Teilen. Beispielsweise ist der Abschnitt der Lendenwirbelsäule (LWS) nicht gut in Rotationsbewegungen und sollte diese vermeiden, während die Brustwirbelsäule (BWS) diese Bewegungen auf jeden Fall machen kann. Der Rücken mit seiner S-Form hat eine Lordose in der Halswirbelsäule (HWS), eine Kyphose in im Brustbereich und eine Lordose in der LWS (siehe Abb. 2). Die Ausrichtung ist für uns Menschen mit einem aufrechten Gang evolutionär perfektioniert worden, was bedeutet, dass die neutrale Wirbelsäulenhaltung der gewünschte Zustand ist, der z. B. Stöße gut abfedern kann und eine flexible Struktur aufweisen. Abweichungen, die dauerhaft zum Rundrücken, also „Typ Cowboy oder Cowgirl“, oder zum extremen Hohlkreuz, also „Typ Prinz oder Prinzessin“, führen, sind nicht gewünscht, weil sie die Wirbelsäule extrem belasten (vgl. Swanson, 2019, S. 14 f.). Problematisch ist daran dann häufig, dass auch umliegende Muskulatur in Mitleidenschaft gezogen wird. So sind die Bauchmuskeln häufig schwach ausgeprägt, wenn wir den „Typ Prinz/Prinzessin“ haben.
Asanas, die Rückbeugebewegungen beinhalten, haben die Gefahr, dass gerade der untere Rücken, wenn z. B. eine Vorbelastung besteht, zu stark beansprucht wird. Eine Entlastung ist dann möglich, wenn die Bauchmuskulatur währenddessen aktiviert werden. Inwiefern starke Rückbeugebewegungen sinnvoll sind, kann an der Stelle nur angezweifelt werden, da es sich irgendwann um keine natürlichen Bewegungen mehr handelt (siehe Abb. 3 & 4). An der Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass Bewegungen auch abhängig von individuellen Faktoren wie den persönlichen Zielen abhängig sind. Im Turnen wäre ein Bodengang nicht wegzudenken oder im Ballett ein 180°-Winkel Spagat. Aber, ob alle in ein Rad kommen müssen und sollten, vage ich zu bezweifeln.
In dem Buch „Das große Yin Yoga-Buch“ von Clark wird bei der Asana Sphinx und Seehund auf Kontraindikationen hingewiesen, aber die Haltedauer der Sphinx soll bis zu 20 Minuten Haltedauer gesteigert werden können (vgl. Clark, 2018, S. 146). Das erscheint mir doch sehr lang und nicht sinnvoll, obgleich eine streckende Bewegung der kompletten Oberkörpervorderseite inklusive des Hüftmuskels natürlich wichtig ist. Im Buch „Deutschland hat Rücken“ von Liebscher-Bracht und Bracht wird die Bedeutung der Dehnung der Vorderseite ebenfalls hervorgehoben, allerdings wird bei der Übung „Hängende Leiste“ die Dehnung im Wechsel von Anspannung vorgeschlagen, wobei beides wesentlich kürzer ist als die Yin-Yogaempfehlung von 1-20 Minuten (vgl. Liebscher-Bracht & Bracht, 2018, S. 248 ff.). Wohingegen im Expertenhandbuch zur Beweglichkeit explizit gewarnt wird weder Beugehaltungen (Flexion der Wirbelsäule) noch extreme Rückbeugen „mit Knick“ einzunehmen als Dehnung. Lediglich die Sphinx und die Streckung auf einem Gymnastikball wird von den Autor*innen als Dehnung für den Bauch empfohlen, jedoch nur mit aktiver Bauchspannung (vgl. Albrecht & Meyer, 2015, S. 50, 113). Alle Rückbeugehaltungen sind meiner Meinung nach abhängig vom Körper, dem Gesundheits- und Fitnesszustand und den angestrebten Zielen. Eine aktive Bauchspannung in der Rückbeuge wie auch in der Kobra oder anderen Asanas in der Richtung halte ich für sehr wichtig und empfehlenswert. Alle Teilnehmer*innen sollten bei Asanas wirklich auf ihren Körper hören und die Dauer und Bewegung abhängig von körperlichen Empfindungen machen und nicht abhängig von der Willkür der Yogalehrenden und deren fixen Ideen, wie die Übung im Yoga eben auszusehen hat.
Wenn es um Ausrichtung geht, ist nicht nur der Rücken und die Beckenstellung wichtig, sondern auch die Beine bzw. Knie. Die Gelenkaktion der Knie sind die Flexion und Extension, da es sich beim Knie um ein Scharniergelenk handelt. Das hat zu Folge, dass die Knie nicht gerne nach innen oder außen gehen. Alle Kriegerhaltungen, bei der der Fuß aktiv Kontakt zur Matte behält, spricht man von achsengerechter Bewegung, wenn die Mitte vom Knie in einer Linie zur zweiten Zehe ausgerichtet ist. Anders gesagt geht es hierbei darum die Groß- und Kleinzehenballen gleichermaßen zu belasten, diese Spannung bzw. Ausrichtung beizubehalten und dann auch für die Knie umzusetzen. Häufiger kommt es in den Stand-Asanas dazu, dass die Knie nach innen fallen, was allerdings vermieden werden kann, wenn die Oberschenkelaußenseite aktiviert und gleichzeitig (spiraldynamisch) der Großzehenballen ebenfalls in den Boden gedrückt wird.
In Yogahaltungen gibt es auch viele stützende Positionen, bei denen die Handgelenke stark belastet werden können, wenn diese nicht aktiv entlastet werden, wenn die Fingerspitzen aktiviert werden. Zudem empfiehlt es sich die Fingerspitzen gerade nach vorne auszurichten und auch an die Schultern zu denken. „Kopf in Verlängerung zu Halswirbelsäule und Schultern weit weg von den Ohren“, kann eine passende Anweisung sein. Weitere Empfehlungen zur Ausrichtung sind die Anweisungen „Gelenk unter Gelenk“ und „Gelenke minimal gebeugt lassen“. Zum einen entlastet es Gelenke, wenn die Stellung direkt untereinander erfolgt (z. B. Knie unter der Hüfte lassen) und zum anderen sind überstreckende Haltungen langfristig unter Umständen auch gelenkbelastend.
2.3 Bewertung verschiedener Asanas und Yoga-Stile
Im Folgenden soll es nun konkret um bestimmte Asanas bzw. Stile im Yoga gehen, die genauer betrachtet werden. Der Sonnengruß (siehe Abb. 1) ist eine sehr häufige Abfolge nicht nur im Vinyasa-Yoga. Bei der Berghaltung sollten die Füße im Kontakt zum Boden gehalten und die neutrale Wirbelsäulenhaltung eingenommen werden. Darüber hinaus kann das Kinn minimal zur Brust gezogen werden (für die HWS) und das Brustbein nach oben. Zudem sollten die Schulterblätter nach hinten in eine gedachte Hosentasche gesteckt werden. Bei der darauffolgende Rückbeuge können die Arme auch nur zur Decke gestreckt werden, ohne in eine Rückbeuge zu gehen. Bei einer Rückbeuge gilt es den Bauch etwas zu aktivieren. Der Gang in die ganze Vorbeuge sollte aus langem Rücken geschehen und ggf. gebeugten Knien gehalten werden. Der darauffolgende Ausfallschritt ist eine sehr effektive Dehnung für die Hüftmuskulatur. Auch hier sollte das Knie stabil (achsengerecht) gehalten werden. In der Planke (gebeugt oder gestreckt) soll der Bauch wieder aktiviert werden, um dann auf den Bauch zu gelangen. Bei der Kobra ist das Heben des Oberkörpers je nach Höhe auch eine Rückbeuge, was bedeutet, dass die Bauchmuskeln wieder aktiv werden sollten. Zudem sollte der Blick zum Boden gehen, da so die Halswirbelsäule entlastet wird. Im herabschauenden Hund ist wichtig, dass für ganz viel Länge im Oberkörper gesorgt wird und die Fingerspitzen aktiv bleiben, um die Handgelenke zu entlasten. Für den Weg nach oben in die Berghaltung ist abschließend noch wichtig, dass hier eher aus den Oberschenkeln gearbeitet wird und der Rücken lang und aufgerichtet bleibt. Häufig kommt es hier dann zu einem runden Rücken, der langfristig belastend für die Wirbelsäule ist.
Im Ashtanga-Yoga gibt es auch den Sonnengruß, aber auch die Erweiterungen des Sonnengrußes A und B, bei denen einige Asanas hinzukommen. Eine Besonderheit, die in der Grundstellung des Ashtangas zu finden ist, ist die sehr enge Fußstellung, die auch in einigen Hatha-Traditionen gelehrt wird. Für einen sicheren, knie- und beckengerechten Stand wäre die Ansage „faustbreit geöffnete Füße“ besser, da die Fuß- und Kniestellung mit geschlossenen Beinen zu mehr Gleichgewichtsproblemen und einer nicht achsengerechten Kniehaltung führt, die das Knie durch die Innenrotation langfristig schädigen kann. Eine weitere Besonderheit ist die Kopfstellung, also der Blick nach oben, bei dem der Nacken sehr belastet wird und daher nicht unbedingt sinnvoll ist. Das passiert z. B. im Stuhl oder im heraufschauenden Hund. Auch der Fisch überstreckt den Nacken stark und sorgt zudem für Druck auf die Wirbelsäule, was auch bei falscher Ausführung für den Kopfstand gelten kann. Die Schulterbrücke belastet die Halswirbelsäule unter Umständen ebenfalls und sollte auch nur mit Vorsicht und bedacht durchgeführt werden. Im Ashtanga gibt es auch viele Dehnübungen für die Beinrückseiten, bei denen die Knie gestreckt werden, was je nach Dauer der Yoga-Stunde auch negativ merkbar werden kann. Alle Asanas, in denen die Beine stark gebeugt werden (z. B. der Lotussitz) besteht das Risiko die Knie nicht gerade zu halten und dadurch zu belasten. Üblich sind im Ashtanga-Yoga auch Sprungbewegungen, die als Wechsel und Übergang benutzt werden. Das kann, wenn nicht genügend entgegenwirkende Kraft aufgebracht wird, den ganzen Körper zu stark fordern.
Am Beispiel der tiefen Hocke möchte ich noch verdeutlichen wie wichtig es ist die Füße fest mit dem Boden zu verwurzeln (siehe Abb. 4). Die Asana sieht in ihrer gewollten Ausführung vor, dass die Füße und vor allem die Fersen fest am Boden bleiben. Viele Teilnehmer*innen kommen allerdings zunächst nicht in die Endposition. Mit Hilfe von Yogablöcken wird dann jeweils rechts und links unter dem Fuß eine Erhöhung angeboten. Problematisch ist diese Herangehensweise, weil das Knie- und Fußgelenk so stärker belastet wird. Meine Empfehlung wäre die Yogablöcke unter das Gesäß zu nehmen, da so der Kontakt mit den Füßen zum Boden beibehalten werden kann und die Belastung auf den Mittelfuß, dem optimalen Gleichgewichtspunkt, liegt (vgl. Rippetoe, 2015, S. 20 f.). Als Steigerung sollte dann versucht werden den Körper eher nach vorne, also weg vom Yogablock, zu bringen, damit die Teilnehmer*innen langfristig in die gewünschte Position finden können. Je nach Proportionen und Verhältnis zwischen Oberschenkel, Unterschenkel und Oberkörper unterscheidet sich die Asana in ihrer Endposition etwas, was ganz natürlich ist. Diese Empfehlung basiert auf der biomechanischen Analyse für die Kniebeuge in abgewandelter Form hier für die tiefe Hocke in Anlehnung an die Empfehlung aus dem Buch „Starting Strength“ von Mark Rippetoe zum Langhanteltraining.
3. Diskussion und Fazit zur Gesundheitsorientierung im Yoga
Wenn du als Leser*in jetzt den Eindruck bekommen hast, Yoga besser gar nicht zu praktizieren, aus Angst zu viel falsch zu machen oder Verletzungen zu verursachen, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass Yoga in seiner Gänze mit den Atemübungen, der Meditation oder Spiritualität etc. sehr viele, allgemein bekannte und positive Auswirkungen auf Körper und Geist hat, wenn es z. B. um Stressreduzierung geht, und auch die Asana-Praxis sehr sinnvoll ist, da der Körper bewegt werden will. Wir dürfen es uns nur nicht zu leicht machen und blind auf Traditionen verlassen, die „schon immer so gemacht wurden“ und ggf. nicht mehr aktuell und gesundheitsorientiert sind. Wie in allen Konzepten oder Kursformaten sollte es darum gehen zu prüfen und zu verstehen was gemacht, gebraucht und woran sich orientiert wird. Neben der Verantwortung als Kursleitung für die Teilnehmer*innen, empfehle ich allen Teilnehmenden ein Verständnis und Bewusstsein für sich selbst, der Anatomie und den Sinn von Bewegungen oder Übungen aufzubauen, denn kein Yogalehrender kann so individuell auf dich schauen und Übungen anpassen, wie du selbst für dich, da nur du deine eigene Empfindung, Wahrnehmung und deine Ziele für dich erfährst. Handlungs- und Trainingsempfehlungen sind nicht zwangsläufig für alle Menschen übergreifend gültig und müssen an den Aspekt der Individualität angepasst werden, obgleich das viele Sitzen beispielsweise sicherlich klare Tendenzen und Auswirkungen in Form von muskulären Dysbalancen aufweisen.
In diesem Essay habe ich eine sehr gesundheitsorientierte, sportwissenschaftliche Sicht auf Yoga eingenommen und an verschiedenen Stellen Kritik üben müssen. Meine Kritik entstand dadurch, dass häufig anatomische Gegebenheiten wie der Aufbau und die Funktion der Wirbelsäule in Asanas nicht ausreichend berücksichtigt werden. Gerade das Thema Rückbeugen ist in seiner positiven und negativen Wirkung noch nicht umfassend erforscht. Das Ziel sollte in jeden Fall sein auf eine gute, aufgerichtete Haltung hinzuarbeiten, das Körperbewusstsein zu stärken und Mobilisation, die die Gelenkaktionen vorgeben, häufig zu integrieren.
Ähnlich wie gesagt wird, dass nicht nur Yin-Yoga praktiziert werden sollte, ist allgemein wichtig zu betonen, dass Yoga aus sportwissenschaftlicher Sicht allein nicht umfassend genug ist, wenn es z. B. um ein Krafttraining oder die Ausdauerkomponente geht. Yoga sollte meiner Meinung nach Platz im Trainingsplan bekommen, aber genauso auch einer Ausdauereinheit z. B. mit dem Fahrrad oder im Wasser und ein Krafttraining in einem anderen Intensitätsbereich als das Kraftausdauertraining. Besonders gut sind Yoga-Asanas bezüglich der Dehnung und im Bereich Koordination die Gleichgewichtsfähigkeit.
Im Sonnengruß habe ich konkrete Übungsanweisungen gegeben, die den Flow meiner Meinung nach gesundheitsorientierter werden lassen. Vom Ashtanga-Yoga würde ich eher abraten bzw. Anpassungen vornehmen, da z. B. die Blickrichtung nach oben belastend für die HWS ist und die Asanavorgaben extreme Dehnübungen und Knie- und Fußausrichtungen (z. B. Füße schließen) beinhalten. Natürlich ist Yoga auch abhängig von den Zielen jedes Einzelnen und daher nicht per se falsch oder schlecht für den Körper. Yoga ist nicht von einem Einzelnen erdacht worden und auch nicht in einem Guss entstanden. Dementsprechend können wir unser Stückchen zum Yoga beitragen, insbesondere als Lehrende.
4. Quellenangaben
Albrecht, K. & Meyer, S. (2015). Stretching und Beweglichkeit. Das neue Expertenhandbuch (3. Aufl.). Haug.
Clark, B. (2018). Das große Yin-Yoga-Buch. Trias.
Gehrke, T. (2012). Sportanatomie (12. Aufl.) Nikol.
Huber, G. & Köppel, M. (2017). Analyse der Sitzzeiten von Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 20 Jahren. Dtsch Z Sportmed. 68: 101-106.
Jung, P. Je mehr Jugendliche sitzen, desto mehr depressive Symptome entwickeln sie. Pädiatrie 32, 16–18 (2020). https://doi.org/10.1007/s15014-020-2441-7
Liebscher-Bracht, R. & Bracht, P. (2018). Deutschland hat Rücken. Mosaik.
Manz, K., Domanska, O., Kuhnert, R. & Krug, S. (2022). Journal of Health Monitoring. Robert Koch-Institut. 7(3) DOI 10.25646/10294 .
Rippetoe, M. (2015). Starting Strength. Einführung ins Langhanteltraining (2. Aufl.). riva.
Schulz, S. (2022). Die Altenrepublik. Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet. Hoffmann und Campe Verlag.
Schwanson, A. (2019). Yoga verstehen. Die Anatomie der Yoga-Haltungen. Dorling Kindersley Verlag.
Die Illustrationen stammen aus der Feder von Jana Dotzki. Mehr Infos bekommst du auf ihrer Internetseite j-bewusstimleben.de und Instagram @j_bewusstimleben
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen